MR4B – Mixed Reality for Business im Interview bei Projekt Zukunft
Das Adlershofer Softwareunternehmen X-Visual Technologies koordiniert das erste Berliner „WIR!-Bündnis“ für industrielle Mixed-Reality-Anwendungen, kombiniert mit Künstlicher Intelligenz (KI). Im Rahmen des Förderprogramms „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ sollen durch den Einsatz von MR- und KI-Technologien vor allen Dingen strukturschwache Regionen in Berlin-Brandenburg langfristig gestärkt werden.
Von September 2020 bis zum Mai 2021 lief die erste Phase. Zusammen mit den Bündnispartner:innen wurde innerhalb der Konzeptphase ein Strategiekonzept erarbeitet, das Projektideen zeigt, wie anfassbare Virtual- (VR) und Augmented-Reality-Anwendungen (AR) für den industriellen Mittelstand, kombiniert mit KI, den Strukturwandel in der Region nachhaltig vorantreiben sollen. Das „WIR!-Bündnis Mixed Reality for Business“ (MR4B) konnte letztendlich überzeugen und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den nächsten sechs Jahren mit 15 Millionen Euro gefördert. Projektleiterin Jenny Orantek erzählt, wie das Projekt im August 2021 von der Konzept- in die mehrjährige Umsetzungsphase überführt wurde und über welche Innovationspotenziale es verfügt.
Können Sie noch einmal ganz kurz skizzieren, was es mit dem „WIR!-Bündnis MR4B“ auf sich hat?
Das „WIR!-Bündnis“ will mit dem Projektvorhaben „MR4B – Mixed-Reality-Anwendungen for Business“ einen signifikanten Beitrag zur digitalen Transformation der Arbeit durch VR-/AR-Anwendungen in Kombination mit KI-Technologien für den industriellen Mittelstand und das Handwerk in der Region „Berlin und Berliner Umland“ leisten.
Damit soll eine Vision für den Arbeitsplatz der Zukunft entwickelt und der Strukturwandel in der Metropolregion vorangetrieben werden. Die Vision von „MR4B“ liegt im Aufbau eines regionalen Innovationsökosystems zu Mixed-Reality-Anwendungen in Kombination mit KI-Technologien im industriellen Umfeld. Angestrebt wird eine interdisziplinäre, branchenübergreifende und regionale Vernetzung der Partner aus Lösungsanbietern und Anwendern aus der Industrie. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen sensibilisiert, ermutigt und befähigt werden, VR/AR produktiv und mit geringem Kostenaufwand einzusetzen.
Sie haben sich aus eingangs 140 Skizzen neben 22 deutschlandweiten Bündnissen für die 2. Runde, die Umsetzungsphase, qualifiziert. Womit haben Sie letztendlich überzeugen können?
Wir wollen mit dem Bündnis „MR4B“ den Strukturwandel in der Region Berlin und dem Berliner Umland mit KI und Mixed-Reality-Anwendungen aktiv gestalten und langfristig voranbringen. So soll die Art, wie wir zukünftig miteinander arbeiten wollen, nachhaltig verändert werden: Tätigkeiten, für die heute noch die Arbeitnehmer:innen zu ihrem jeweiligen Einsatzort fahren müssen, können dank im „MR4B-Bündnis“ zur Marktreife gebrachter MR-Anwendungen zukünftig weltweit remote angeboten werden. Dazu forschen und arbeiten in dem „WIR!-Bündnis MR4B“ KMU aus dem Handwerk und der Industrie, Lösungsanbieter:innen, Wissenschaftler:innen, Anwender:innen und Vereine alle gemeinsam an dieser Vision – und diese wollen wir dann natürlich bundesweit zur Verfügung stellen.
Überzeugen konnte das „MR4B“-Konzept in vielen Bereichen. Bereits in der Konzeptphase haben Anwender:innen ihre Probleme, insbesondere unter Pandemiebedingungen, geschildert. Erste Bedarfe und Lösungsideen wurden festgestellt, die gemeinsam mit den Bündnispartner:innen in 24 Workshops näher erörtert wurden. Ergebnis waren ein erstes gemeinsames Verständnis für die Möglichkeiten der Zukunftstechnologien VR sowie AR und KI und ein WIR!-Gefühl im Bündnis. Bereits im ersten Austausch zeichnete sich der große Bedarf von industrienahen VR-/AR-Anwendungen ab, aber auch die unterschiedlichen Sichtweisen und das Wissensniveaus innerhalb des Bündnisses wurden deutlicher.
Um die „MR4B“-Vision, Partner:innen und das Vorhaben gut zu präsentieren, wurde im Rahmen der Konzeptphase eine Website und ein Imagefilm erstellt. Website und Video waren besonders wichtig, um Interessent:innen und die Bündnispartner:innen abzuholen, zu vernetzen und ihnen das Gefühl zu geben, Teil eines Innovationskerns zu werden. Trotz der Pandemiebedingungen ist es gelungen, eine Verbindlichkeit aufzubauen und einen großen Teil der Partner:innen an das Bündnis zu binden.
Mixed-Reality soll also ein integraler Bestandteil des modernen Arbeitsplatzes werden – MR-basierte Geräte-Kombinationen in Verbindung mit KI-Technologien. Wie genau sieht das aus?
Auf die Nachhaltigkeit bin ich bereits eingegangen – so ermöglichen MR-Anwendungen beispielsweise die dezentrale Wartung von komplexen Anlagen, ohne dass verantwortliche Mitarbeitende vor Ort anwesend sein müssen. Dadurch können die Lebensverhältnisse zwischen Metropole und ländlicher Umgebung langfristig angeglichen werden: Weniger Pendelverkehr und Geschäftsreisen sollen zu einem geringeren Verkehrsaufkommen führen. Durch die Unterstützung von Remote Work sollen vor allen Dingen auch Fachkräfte für ländliche Regionen gewonnen werden – das führt langfristig zur Sicherung von Arbeitsplätzen und einer Steigerung der Innovationskraft.
Um diese Anwendungen zügig flächendeckend zum Einsatz zu bringen, ist es von Vorteil, wenn sich wissenschaftliche und wirtschaftliche Ballungszentren wie die Metropolregion Berlin-Brandenburg künftig dezentraler als bisher entwickeln. So können Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen die wirtschaftlichen Vorteile räumlicher Nähe, flexibilisierter Arbeit, Gesundheit und ökologischer Nachhaltigkeit vereinen.
Können Sie das ebenfalls noch einmal näher ausführen?
Sehr gern. Der wirtschaftliche Nutzen des Einsatzes von Mixed Reality ist bereits heute erkennbar. Durch virtuelle Baubegehungen und Inbetriebnahmen von Anlagen über VR-Brillen lassen sich beispielsweise Reisekosten sparen. Die deutsche Industrie hat allein im Jahr 2020 bis zu 50 Milliarden Euro bei Dienstreisen eingespart, schätzt der Verband Deutscher Geschäftsreisender von 2021. Und das lässt sich noch weiter ausbauen: Die Reisetätigkeit könnte in den nächsten Jahren halbiert und dadurch auch hohe CO2-Einsparungen erreicht werden.
Beim Einsatz von Mixed Reality in der Vorplanung und Iterationsrunden mit Kund:innen könnte nach heutigem Stand 10-15 Prozent Planungsaufwand eingespart werden, da Fehler frühzeitig erkannt werden. Die Kosten bei Reparaturen und Wartungen könnten halbiert werden, da sich Techniker:innen des Kunden/der Kundin durch Remote Support mit digitalen Brillen zeit- und ortsunabhängig anleiten ließen und Arbeiten weltweit selbst ausführen könnten.
Insbesondere für KMU sehen wir Mixed-Reality-Technologien als Wegbereiter, um auch internationale Projekte abzuwickeln. Gleichzeitig versprechen sich die Bündnispartner:innen durch die damit verbundene digitale Transformation eine Stärkung der Unternehmen in der Region. Bezogen auf das mögliche Einsatzvolumen in der Region werden Mixed-Reality-Technologien zukünftig für jeden zweiten Mitarbeitenden in der Planung, Wartung und im Betrieb von Anlagen eine signifikante Rolle spielen.
In den Bereichen Industrie und Handwerk hat das „MR4B-Bündnis“ einen großen Bedarf an VR- und AR-Anwendungen in Kombination mit KI identifiziert. Wie sieht das praktisch aus?
Große Innovationspotenziale bergen Mixed-Reality-Anwendungen in Kombination mit KI vor allen Dingen im industriellen Umfeld. Datenbrillen werden zukünftig zentrales Werkzeug für die Planung, Inbetriebnahme und Wartung von Industrieanlagen sein. Wir sind überzeugt, dass in Zukunft nur ein kleiner Teil dieser Aufgaben die Anwesenheit vor Ort erfordert: Die Präsenz wird abnehmen, denn VR kann aus der Ferne unterstützen, AR kann Prozesse vor Ort beschleunigen und Risiken in der Arbeitssicherheit senken.
Die über das Internet der Dinge (Internet of Things/IoT) künftig zu erwartenden Datenströme werden mit Hilfe von KI handhabbar. Die Bündnispartner:innen verbinden mit dem Einsatz von Mixed Reality und KI die Perspektive auf schnell umsetzbare und kostengünstige Lösungen, die zu einem messbaren Fortschritt in der digitalen Transformation führen.
Welchen Einfluss hat das auf die räumliche Planung von Prozessanlagen?
Dabei handelt es sich um einen komplexen und entsprechend fehleranfälligen Prozess, der viel Expert:innenwissen benötigt. VR und AR können hierbei nicht nur Vertriebsingenieur:innen bei der Kund:innenkommunikation unterstützen, sondern bringen die Planer:innen direkt in die (virtuelle) Anlage und machen so Probleme bei der Planung schneller sichtbar. Die Integration eines intelligenten Assistenzsystems, welches das Expert:innenwissen des Anlagenbaus in Form von Regeln und Heuristiken bündelt und dafür auf verschiedenste Methoden der KI zurückgreift, kann die Planer:innen zusätzlich unterstützen, indem potenzielle Problemstellen visuell in MR hervorgehoben und automatisierte Lösungsvorschläge generiert werden können.
Da der demografische Wandel auch in der Prozessindustrie das Abwandern von Know-how mit sich bringt, dient ein derartiges Assistenzsystem gleichzeitig der Wissensvermittlung, in dem es Ursachen für Probleme und Gründe für Lösungsvorschläge mit Hilfe einer „Erklär“-Funktion verdeutlichen kann. Diese ersten Ansätze sollen in „MR4B“ weiterentwickelt werden und im industriellen Mittelstand und Handwerk zum Einsatz kommen.
Können so strukturschwache Regionen dauerhaft gestärkt werden?
Davon bin ich fest überzeugt. Denn innerhalb der „MR4B“-Region „Berlin und Berliner Umland“ organisieren sich Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen als Pioniere für praxistaugliche Mixed-Reality-Lösungen im industriellen Einsatz. Sie knüpfen damit an die einstige Vorreiter-Rolle der Region an und erproben neue Vorgehensweisen, Methoden und Technologien für Industrie und industrienahes Handwerk.
„MR4B“ beschleunigt die Anwendung und Übersetzung aktueller Forschungsergebnisse, entwickelt sowohl Querschnittstechnologien als auch marktfähige Lösungen, fördert ihren Einsatz in der Praxis und trägt dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit von großen und kleinen Industrieunternehmen im Berliner Umland vor dem Hintergrund des strukturellen Wandels zu steigern. Durch die Kommunikation erfolgreicher Praxisbeispiele werden die Innovationspotenziale der Region sichtbar. Investor:innen ziehen auch ländliche Gebiete für Ansiedlungen in Betracht, gleichzeitig wächst das Vertrauen der Bevölkerung, in einer zukunftsfähigen Region leben und arbeiten zu können.
Innovative Unternehmen aus dem Cluster IMK, die bisher ihre Aktivitäten auf Berlin beschränkt haben, erkennen neue Chancen und schaffen Arbeitsplätze auch im ländlichen Raum des Berliner Umlandes. KMU, die als Dienstleister und Zulieferer fungieren, profitieren vom Industriewachstum und schaffen nachhaltige Arbeitsplätze in der Region.
Die Umsetzungsphase ist 2027 abgeschlossen. Was haben Sie konkret für die nächsten fünf Jahre geplant, bzw. mit welchen Anwender:innen arbeiten Sie zusammen?
„MR4B“ zählt 70 Bündnispartner in Berlin und Brandenburg. Dazu gehören neben Anwender:innen wie PCK Schwedt, Unison Engineering & Consultants GmbH, se.services GmbH, expert Technik SE & Co. KG, Fraunhofer IFF, das QualifizierungsCENTRUM der Wirtschaft GmbH Eisenhüttenstadt zahlreiche weitere Unternehmen und aus der Wissenschaft, die BTU Cottbus-Senftenberg, TU Berlin, HTW Berlin, TH Wildau, sowie Regional- und Länderfördereinrichtungen wie die WISTA Management GmbH.
In der Umsetzungsphase geht es jetzt darum, aus den Projektideen umsetzbare Mixed-Reality-Entwicklungsprojekte für die Planung und Wartung zu entwerfen sowie Strukturen zum Testen neuer Technologien und Szenarien zu schaffen. Zudem werden Konzepte entwickelt, die neuen Technologien nicht nur zu verbreiten, sondern sie als Standards zu etablieren. Im Anschluss an den insgesamt sechsjährigen Förderzeitraum soll das Bündnis eigenständig als eine Netzwerkstruktur fungieren. Darüber hinaus werden Strukturen und neue Kooperationen geschaffen, die die Akteure in der Region über Branchengrenzen hinweg vernetzen.
Und was sind Ihre langfristigen Ziele?
Im Unterschied zu den alten Bundesländern gibt es in der „MR4B“-Region wenig Traditionsunternehmen, in denen die Unternehmer eng mit der Region verbunden sind. Viele Unternehmen sind aufgrund ihrer Struktur und ihrer geringen Eigenkapitalquote allein nicht in der Lage, die digitale Transformation zu bewältigen. Durch gemeinsame Methoden und Datenstrukturen können KMU ihre Fähigkeiten bündeln, neue Dienstleistungen und Produkte anbieten und sich gegenüber größeren Wettbewerber:innen am Markt behaupten.
Die Pandemie hat Schwachstellen bei der Digitalisierung in den Unternehmen aufgedeckt, aber auch die Bereitschaft, sich auf neue Formen der Zusammenarbeit einzulassen. Datenbrillen, Drohnenfotos und Laserscans erlauben neue Methoden für die Planung und Wartung von Industrieanlagen ohne die Anwesenheit vor Ort. „MR4B“ setzt sich zum Ziel, Kompetenzzentrum für industrielle VR-/AR-Anwendungen und Brückenbauer in der Region zu sein sowie den interdisziplinären Wissenstransfer zu organisieren.
Über X-Visual Engineering Software
X-Visual Technologies entwickelt und realisiert seit 2004 anspruchsvolle Softwarelösungen auf Basis von Microsoft© Visio© für das Engineering und die Dokumentation im Anlagenbau. Ziel ist es, den Datenaustausch und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Fachabteilungen zu verbessern.
Die Software „PlantEngineer“ soll Ingenieur:innen bereits im Anlagendesign helfen, intuitiv und ohne CAD-Kenntnisse intelligente Fließbilder zu erstellen und zu ändern. Das Fließbild liefert als zentrales Dokument der Anlagenplanung relevante Informationen für den gesamten Lebenszyklus der Anlage – von den ersten Angebotsentwürfen bis hin zur Inbetriebnahme. Die Anbindung an ein ERP-System ermöglicht ein systemübergreifendes Arbeiten und integriert die Prozesse Beschaffung und Logistik bis hin zur Inbetriebnahme. Zu den Anwender:innen gehören Planer:innen, Installateur:innen und Betreiber:innen verfahrenstechnischer Anlagen aus den Branchen Pharma, Chemie, Life Science, Umwelttechnik etc.
X-Visual Technologies ist Microsoft Visio-Partner. Aktive Mitgliedschaften in der „DEXPI-Initiative“ (Data Exchange for the Process Industry), im „Xinnovations e. V.“, dem bundesweiten Kompetenznetzwerk für netzbasierte Informationstechnologien sowie in der „ENPRO 2.0-Initiative im Projekt ORCA“ (Effiziente Orchestrierung modularer Anlagen) sowie die Mitarbeit an der Innovationsplattform „KEEN – Künstliche-Intelligenz-Inkubator-Labore“ in der Prozessindustrie ermöglichen die Nutzung von Synergien und stärken eine anwender:innenorientierte Softwareentwicklung.
X-Visual ist seit 18 Jahren international tätig und hat durch Projekte mit renommierten Industrieunternehmen Expertise in den Bereichen Engineering-Software, Mixed Reality, Datenintegration und Digitalisierung von Anlagenbauprojekten aufgebaut und sieht sich als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.